8. Globalisierung und Finanzmärkte
Mit der Handelsliberalisierung ging oftmals auch eine Liberalisierung der Kapitalmärkte einher. Auch dies war technologisch und politisch getrieben wie beim Handel. Durch die zur Verfügung stehende Technologie kann Kapital sich global bewegen, wenngleich zu große Offenheit der Märkte auch erhebliche Risiken birgt. So weist Joseph Stieglitz in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung“ daraufhin, dass die schwere Wirtschaftskrise in Asien zum Ende der 1990er Jahre durch zu große Offenheit der Währungsmärkte verschärft wurde.
Dem Thema Finanzmärkte könnte man eine eigene Veranstaltung widmen, ich möchte aber kurz darauf eingehen, weil es einen engen Kontext zur Globalisierung gibt.
Was ist die Aufgabe von Finanzmärkten? Grundsätzlich geht es darum, diejenigen zusammen zu bringen, die einerseits sparen und andererseits investieren wollen – sei es jemand der ein Haus baut oder ein Unternehmen eine Fabrik oder der Staat eine neue Schule. Vorhin hatte ich schon das Beispiel meiner Pensionskasse, dem Presseversorgungswerk, und dem Unternehmen in Brasilien genannt. Warum sollte sie dem Unternehmen Geld leihen? Nun, sie verspricht sich davon eine Rendite, um mir irgendwann mal eine private Rente auszuzahlen. Solche professionellen Anleger prüfen Renditen und Risiken und entscheiden sich für eine Anlage. Grundsätzlich ermöglichen Kapitalmärkte, dass Ersparnisse in die effizienteste Verwendung fließen.
Was heißt das für ein Land wie Brasilien? Wenn es oder seine Unternehmen für Investoren unter Berücksichtigung des Risikos attraktiv erscheinen, erhält es Kapitalzuflüsse. Damit können Investitionen in neue Fabriken oder in Infrastruktur finanziert werden, die Wirtschaft wächst und die in Brasilien steht mehr Einkommen zur Verfügung.
So weit so gut, aber die Anlage erfolgt auf Basis einer Risikobewertung. Kommt das Presseversorgungswerk (oder ein von ihr genutzter Fonds) aber zu dem Schluss, dass die Lage in Brasilien zu gefährlich ist, zieht sie sich aus der Finanzierung zurück. Das wird dann schnell Spekulation genannt, ist aber die Kehrseite dazu, dass ein Anleger bereit ist Risiken einzugehen. Auslöser für einen solchen Rückzug kann eine veränderte wirtschaftspolitische Lage sein.
Diese Problematik gilt insbesondere für die so genannten Schwellenländer, die häufig nicht genug inländische Ersparnisse haben um dadurch ihr Wirtschaftswachstum finanzieren zu können. So lange sie attraktiv erscheinen, erhalten sie Kapitalzuflüsse und können wachsen. Werden sie unattraktiv etwa wegen politischen Chaos oder steigender Rechtsunsicherheit, so fließt das Geld wieder ab.
Länder, die auf Kapitalzuflüsse angewiesen sind wie beispielsweise die Türkei oder Südafrika, sind dementsprechend anfällig in politisch unsicheren Zeiten. In der Türkei erleben wir das derzeit, wo die Wirtschaftspolitik unter Präsident Erdogan aus dem Ruder läuft, und dieser als Antwort darauf diejenigen beschimpft, die dem Land Geld leihen und damit seine Wirtschaft am Laufen halten.
Allerdings, und darauf hat Stieglitz in seinem Buch hingewiesen: Wenn die Kapitalmärkte zu offen sind, insbesondere im Währungshandel, dann steigt das Risiko, dass Kapitalabflüsse aus dem Ruder laufen und zu einer Krise führen. Der Grund dafür ist, dass dann tatsächlich spekulative Anleger einsteigen und versuchen von der Lage zu profitieren, ohne dass sie ursprünglich in Brasilien oder der Türkei investiert waren. Hier liegt dann ein spekulatives Agieren vor. Das kann ein Land ins Chaos stürzen, es kann aber auch eine disziplinierende Wirkung haben. Im Beispiel der Türkei hat sich nach solch einer Attacke die Geldpolitik verändert, zugunsten des Landes, aber zu Ungunsten des Präsidenten und seiner Freunde.
9. Stehen wir vor einem Ende der Globalisierung?
„America first“ war ein Slogan, mit dem Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten im Jahr 2016 gewann. Das ist eine klare Absage an internationale Zusammenarbeit auch in der Handelspolitik, wie sich auch an verschiedenen Blockaden der Welthandelsorganisation WTO durch die Trump-Administration zeigt.
Und die Mehrzahl der Briten glaubt fest daran, dass ihr Land auf sich allein gestellt bessere Konditionen in internationalen Verhandlungen herausschlagen kann als im Bund mit der EU als dem weltweit größten Wirtschaftsblock. Sicher, über den Brexit und insbesondere seine Verfechter kann man viel Häme ausgießen, aber auch er ist Ausdruck eines Trends, sich von der Globalisierung abzukehren.
Trump und der Brexit, aber auch nationalistische Bestrebungen in Ungarn oder Italien wollen ihre Länder aus der internationalen Zusammenarbeit herausziehen und denken, durch Abschottung sich vor negativen wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung wie auch fremde kulturelle Einflüsse schützen zu können.
Steht die Globalisierung am Ende? Nun, der Welthandel wächst schon seit einigen Jahren immer langsamer, was ein Hinweis darauf sein könnte. Das ist einerseits Ausdruck einer schwächeren Weltwirtschaft, gerade Europa entwickelt sich seit der Finanzkrise schwach. Andererseits sinkt aber auch die Bereitschaft der Politik zu weiteren Handelsliberalisierungen. Das zeigt sich am Streit um das einst geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP, bei dem es nicht nur um Chlorhühnchen ging. Weil es aber um Amerika ging, war dagegen gut zu mobilisieren, während die Handelsabkommen der EU mit Kanada und Japan ohne große öffentliche Auseinandersetzung beschlossen wurden.
Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob die Globalisierung am Ende ist. Zuletzt habe ich dazu einige kulturpessimistische Texte gelesen, in der von einer Erschöpfung der Globalisierung die Rede ist. Es gibt auch ein Buch zum Thema, das ich aber noch nicht gelesen habe. Nun bin ich Ökonom, und aus meiner Perspektive gibt es kein Ende der Globalisierung im allgemeinen, wohl aber ein Ende der Globalisierung, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten gesehen haben.
Dazu trägt auf akademischer und auch auf politischer Ebene die Erkenntnis bei, dass man es mit der Liberalisierung der Märkte und des Handels hier und da wohl ein wenig übertrieben hat, wenngleich Freihandel weiterhin als positiv betrachtet wird. Außerdem verändert sich die geopolitische Landschaft rasant durch den Aufstieg Chinas zur Weltmacht.
Die deutlichste Veränderung in der Globalisierung ist, dass die USA mit „Amerika first“ ihre wirtschaftliche Führungsrolle aufgegeben haben, die sie seit 1945 inne hatten. Zugleich gibt es aber einen starken Block der Freihändler mit der Europäischen Union und Japan im Zentrum. Und es gibt China, das immer stärker mitspielt in der Weltwirtschaft – und das auch zunehmend an Spielregeln mitwirkt und in seinem Sinne gestalten will.
Schließlich entwickelt sich Technologie weiter. Es gibt erste Hinweise, dass von dieser Seite her der Bedarf zur Globalisierung nachlassen könnte, denn einer ihrer wichtigen Treiber war ja die internationale Arbeitsteilung zur Steigerung der Produktivität. Digitalisierung oder Technologien wie der 3D-Druck könnten die internationale Arbeitsteilung in Teilen überflüssig machen. Ich kann das technisch nicht beurteilen, aber der Gedanke erscheint mir sinnvoll beobachtet zu werden.
Ob die Globalisierung ganz zum Stillstand kommen oder gar zurückgedreht werden könnte? Mir erscheint das nicht wünschenswert. Passiert es, so wäre dies wohl mehr die Konsequenz einer größeren Krise mit gravierenden Auswirkungen. Die Globalisierung um das Jahr 1900 brach mit dem Ersten Weltkrieg zusammen, wir wissen was darauf folgte.
Wie sähe eine Zukunft ohne Globalisierung aus?
Stellen wir uns vor, dass alle Länder „Amerika first“ verfolgen, also den eigenen Vorteil über alles stellen. Auf der ganzen Welt kann nicht jeder auf Kosten anderer seine Vorteile erzielen. Es würde Gewinner und Verlierer geben, und das in einem nationalistisch aufgeladenen Umfeld. Mag man sich lieber nicht vorstellen.
Und das Errichten von Zollschranken heißt immer: teurere und schlechtere Produkte und damit weniger Kaufkraft für jeden einzelnen. Denn zum einen werden die Zölle auf den Produktpreis aufgeschlagen und wirken damit wie eine zusätzliche Steuer. Zum anderen neigen Unternehmen auf abgeschottet nationalen Märkten zur Behäbigkeit, sie können mitunter zudem zusätzliche Monopolgewinne einfahren. Man stelle sich vor, es gäbe nur einen Anbieter für Smartphones in Deutschland, der nur in Deutschland produziert. Meine Prognose: teurer als ein iPhone und schlechter als das schlechteste auf dem Markt befindliche Smartphone.
Im Fall eines recht großen Landes wie Deutschland wäre Autarkie in einigen Bereichen vielleicht noch vorstellbar. Aber nehmen wir Länder wie Belgien oder Portugal: Stellen wir uns, in jedem Land würden Elektroautos entwickelt, was für eine Verschwendung von Ressourcen.
Bei denjenigen, die aus nationalen Gründen die Globalisierung zurückdrehen wollen, geht es aber um andere Motive. Es geht ihnen, ich sagte es bereits, um nationale Identitäten und Abschottung gegen alles irgendwie Fremde und andersartige. Es wird ein Wir gegen Die propagiert, in dem das Individuum keine Rolle mehr spielt. Möge jeder prüfen, ob er in solch einer Volksgemeinschaft leben möchte.
10. Globalisierung gerechter gestalten
Ich möchte es nicht, aber genug der Schwarzmalerei. Ich möchte abschließend ein paar Gedanken zu einer gerechteren Globalisierung skizzieren. Es geht dabei darum, die Vorteile der Globalisierung zu sichern, und es geht nicht nur um materielle Fragen. Vereinfacht gesagt: Wer miteinander handelt, schießt nicht so schnell aufeinander.
Bleiben wir aber beim Begriff der Freiheit. Der Politikwissenschaftler Andreas Herberg-Rothe schreibt, dass der Gegensatz zwischen Freiheit und Gleichheit durch Gerechtigkeit aufgelöst werden kann. Da wir ja alle wünschen, dass es gerecht zugeht, ist zu fragen, was auch ökonomischer Sicht gerecht ist. Grundsätzlich gilt nach Aristoteles etwas als gerecht, wenn Gleiches gleich behandelt wird. Sollen also alle jeden Monat den gleichen Betrag aufs Konto überwiesen bekommen?
In der ökonomischen Gerechtigkeitsdiskussion geht es vor allem um Einkommensverteilung, Preise, Löhne und Besteuerung. An zentraler Stelle steht aber die Einkommensverteilung, für die grundsätzlich zwei Prinzipien möglich sind: Leistungsprinzip oder Bedarfsprinzip. Beim Leistungsprinzip erhält jeder seinen Anteil am von ihm mitgeschaffenen Produktionswert. Die Verteilung kann durch den Markt, staatliche Eingriffe in den Markt oder eine zentrale Planungsinstanz erfolgen. Hierbei geht allerdings der leer aus, der nichts zur Wertschöpfung beiträgt – aber trotzdem einen Bedarf nach mindestens lebenserhaltenden Gütern und Dienstleistungen hat. Hier greift das Bedarfsprinzip, dass letztlich darauf abzielt, dass alle Menschen den gleichen Nutzen haben. Wie auch immer solcher Nutzen zu messen ist, bedeutet das Bedarfsprinzip nicht, dass alle denselben Betrag pro Monat auf ihr Konto überwiesen bekommen. Denn der gleiche Geldbetrag schafft nicht allen Menschen den gleichen Nutzen.
Festzuhalten bleibt, dass die Überbetonung des Bedarfsprinzips Leistungsanreize vermindert und es folglich nicht genug Güter gibt, um den Bedarf anderer zu decken.
Wirtschaftspolitik agiert daher immer im Spannungsfeld von Leistungs- und Bedarfsprinzip. Die Kunst ist es, Leistungsanreize zu setzen und gleichzeitig den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.
Folglich bedeutet Gerechtigkeit, dass es Ungleichheiten geben kann. Diese These formulierte der Philosoph John Rawls zu Beginn der 1970er-Jahre in seiner Theory of Justice, einer Theorie der Gerechtigkeit. Zunächst gilt bei Rawls das Prinzip der Chancengleichheit: Alle Menschen müssen einen gleichen Katalog von Rechten besitzen. Zweites gilt das Differenzprinzip: Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft müssen sich zum Nutzen der am meisten Benachteiligten (der Ärmsten) auswirken.
Vieles von Rawls Überlegungen findet sich im Übrigen in der EKD-Wirtschaftsdenkschrift „Gemeinwohl und Eigennutz“ von 1991 wieder.
Bewertet man die Globalisierung nach Rawls Philosophie, so dient sie eindeutig einem steigenden Maß an Gerechtigkeit.
Definiert man Gleichheit nicht als materielle Gleichheit im Sinne eines gleichen Monatseinkommens, sondern als Chancengleichheit, so kann man feststellen, dass durch die Globalisierung mehr Menschen eine Chance zur Partizipation am Weltmarkt und damit für ein besseres Leben haben.
Rawls zweites Kriterium sieht vor, dass die Reichen reicher werden dürfen, wenn davon auch die Ärmsten profitieren. Für die Einkommensverteilung in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums uns insbesondere in Entwicklungsprozessen ist dies ein wichtiges Argument.
Mit Blick auf die Globalisierung geht es also darum, deren Verlierer auf Kosten der Gewinner zu entschädigen. Es geht einerseits um Einkommensumverteilung auch auf nationaler Ebene, in der Regel durch die Steuerpolitik, aber etwa durch soziale Sicherheit. Es geht um Rechtssicherheit und gute Regierungsführung. Und es geht im Sinne Rawls um die Schaffung von Zugangschancen, also um Infrastruktur, und vor allem um Bildung, Bildung und Bildung.
[Zu Teil 3]
Stefan Schaaf, April/Mai 2019
Dies ist der dritte Teil meines Vortrages zur Frage, ob die Globalisierung vor dem Ende steht. Meine Antwort: Es gibt eine neue Globalisierung. Hier geht es also weiter mit meinem Vortrag in der ESG Greifswald am 15. April 2019, diesmal mit einer Kritik der Globalisierung – und der Globalisierungskritiker.
6. Kritik der Globalisierung
Bis hierher habe ich, zugegebenermaßen, ein recht positives Bild der Globalisierung gezeichnet. Und grundsätzlich gibt es auch viele Gründe dafür. Allerdings ist mit der Globalisierung wie meistens im Leben: Alles hat zwei Seiten. Deshalb soll es nun um eine Kritik der Globalisierung gehen, aber auch um eine Kritik der Globalisierungskritiker.
Festzustellen ist, dass mit der Globalisierung Veränderungen einhergehen bis hin zu schweren Verwerfungen. Nehmen wir das Beispiel Textilindustrie: In Deutschland werden immer weniger Textilien produziert, auch weil es in den 1990er-Jahren zu einem großen Schub bei der Abschaffung von Zollschranken kam. Umgekehrt kam die Auto-Industrie in vielen Ländern unter starken Wettbewerbsdruck, weil deutsche und japanische Hersteller extrem wettbewerbsfähig sind.
Mit anderen Worten, es gibt Gewinner, aber es gibt auch Verlierer. Das können Städte, Regionen oder ganze Länder sein. Und es trifft immer Individuen, das darf man bei der Betrachtung von aggregierten Größen nie außer Acht lassen.
Folgend möchte ich einige Hauptkritikpunkte an der Globalisierung anführen, wobei ich mit an einem Aufsatz von Bhagwati und Krishna von 2016 orientiere.
- Offenheit schädigt eine Volkswirtschaft;
- Freier Handel mit armen Ländern erzeugt Armut in den reichen Ländern;
- Freier Handel beeinflusst die Einkommensverteilung zugunsten der Reichen;
- Freier Handel führt zu einem Rückgang der Industrie;
- Handel mit China schädigt die heimische Wirtschaft – ein insbesondere in den USA stark diskutiertes Thema;
- Handel führt gar nicht zu Wachstum, sondern umgekehrt.
Für alle genannten Punkte finden sich Beispiele, welche die negativen Wirkungen der Globalisierung zu untermauern scheinen. Die beiden Autoren haben für ihren Aufsatz zahlreiche Studien und Daten ausgewertet. Demnach ist vielfach kein empirischer Beleg für die Thesen zu finden. Aber es gibt in anderen Studien Hinweise darauf, dass die Liberalisierung von Märkten mitunter zu weit ging und die falschen Märkte frei gegeben wurden. Das gilt weniger im Handel, als beispielsweise bei der Infrastruktur.Im Hinblick auf die USA ging dort Freihandel mit starken Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche einher. Der Abstieg der Mittelschicht dort könnte mehr mit den Steuersenkungen als mit der Globalisierung zu tun zu haben. Aus Sicht der Reichen ist es aber immer bequem, wenn sich die Wut der Benachteiligten auf irgendwelche „Die anderen“ ablenken lässt. Die Trump-Regierung hat dies auf die Spitze getrieben. Einerseits hat sie Zölle eingeführt, die wie eine zusätzlich Steuer auf den Konsum wirken – und gleichzeitig die Steuern für Reiche gesenkt. Als Sündenböcke werden den Verbrauchern aber wahlweise China, Mexiko oder Europa vorgeführt.
Meines Erachtens liegen die Ursachen für die der Globalisierung zugeschriebenen Probleme wie in diesem Fall auch vielfach auf anderen Ebenen. Sie sind oftmals Folge falscher politischer Entscheidungen. Mitunter sind sie auch die Folge quasi unausweichlicher technischer Veränderungen. Der Wegfall von Industriearbeitsplätzen hat mitunter mehr mit technologischem Fortschritt als mit Globalisierung zu tun. Und seit der Geschichte der Schlesischen Weber, nachzulesen bei Gerhard Hauptmann, wissen wir, dass der technische Fortschritt letztlich nicht aufzuhalten ist. Bevor ich erkläre, warum der Umgang mit der Globalisierung vor allem das Management des Wandels erfordert, möchte ich eine Kritik der Globalisierungskritiker anbringen.
7. Kritik der Globalisierungskritiker
Globalisierung ist, ich sagte es bereits, nicht nur ein akademischer Begriff, sondern auch ein politischer Kampfbegriff, in den fast jeder alles hineinpacken kann, was ihm Nachteile verursacht oder seinem Weltbild widerspricht. Das ist auch logisch, denn wie schon erläutert ist Globalisierung ein vielgestaltiges Phänomen.
Es gibt meines Erachtens mehrere Formen der Globalisierungskritiker.
Eine erste Gruppe sind Ideologen von rechts und links. National-konservative Menschen stören sich an der wachsenden Verbindung mit anderen Ländern. Ihnen geht es auch meist nicht um das Wohl des einzelnen, sondern um Macht und Stärke des Staates. Abschottung gegen Fremdes ist ihre Ideologie, sie kämpfen vor allem auch gegen die kulturellen Aspekte der Globalisierung und wollen die so genannte Reinheit des Volk und dessen Kultur verteidigen.
Von linker Seite vermischt sich die Kritik an der Globalisierung mit Kritik am so genannten Neoliberalismus – auch ein diffuses Konstrukt – und einem allgemeinen Anti-Kapitalismus. Damit verbunden ist oft auch ein starker Anti-Amerikanismus und eine Sympathie für die staatskapitalistischen Staaten Russland und China. Ihre Globalisierungskritik ist dann irgendwie auch nur eine Form von Nationalismus.
Nach den Ideologen schauen wir auf den Mainstream der Globalisierungskritiker, tendenziell auch eher von links, aber auch aus einer wertkonservativen Seite. Sie bringen Aspekten der Verteilung, soziale und ökologische Aspekte in die Diskussion ein. Ich finde, jeder solcher Punkte ist es wert analysiert zu werden, weil es um das Wohl von Menschen und um die Zukunft der Menschheit geht. Meine Kritik richtet sich allerdings dagegen, dass viele Probleme fälschlich unter Globalisierung subsumiert werden. Soziale Ungerechtigkeit ist eben vor allem eine Frage der Steuer- und Bildungspolitik. Wie gesagt, technologische Revolutionen lassen sich selten oder nie aufhalten. Und in Handelsabkommen sollten selbstverständlich ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Niemand braucht die oft zitierten Chlor-Hühnchen, aber der vollkommene Verzicht auf Freihandel ist auch keine Lösung.
Schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe von Globalisierungskritikern, die Besitzstandswahrer. Ich hatte bereits das fiktive, aber plausible Beispiel des Bauern aus Vietnam genannt, der jetzt Turnschuhe näht. Natürlich ist es aus Sicht des Gewerkschafters in einem Industriestaat richtig, die Arbeitsplätze und die Löhne ihrer Mitglieder zu verteidigen. Umgekehrt profitieren Verbraucher aber von günstigen Produkten oder dem Verzicht auf Einfuhrzölle. Wollte man die Globalisierung zurückschrauben, so müssten sie für viele Produkte mehr zahlen oder sie in schlechterer Qualität kaufen.
Stefan Schaaf, April 2019
Dies ist der zweite Teil meines Vortrages zur Frage, ob die Globalisierung vor dem Ende steht. Meine Antwort. Es gibt eine neue Globalisierung. Hier geht es also weiter mit meinem Vortrag in der ESG Greifswald am 15. April 2019, diesmal mit Auslösern und Wirkungen der Globalisierung.
- Auslöser der Globalisierung
Wie eben schon angerissen, hat das Phänomen Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Fall der Mauer zwei Schübe bekommen. Dazu trugen wissenschaftliche Erkenntnisse, politisch-ideologische Tendenzen und technologische Entwicklungen gleichermaßen bei.
Der Prozess, den wir seit rund 25 Jahren als Globalisierung bezeichnen, begann nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre. Sie hatte sich verschärft, weil viele Staaten sich wirtschaftlich abgeschottet hatten – man nennt dies Autarkie-Streben. Ausgeprägt war das in Deutschland, wo die Nazis die Selbstversorgung zur Ideologie machten. Wo ich herkomme, versuchte man in der Rhön in Höhenlagen auf Biegen und Brechen Landwirtschaft zu betreiben, obwohl das Klima nicht geeignet ist. Man hätte die Leute besser Maschinen für den Weltmarkt bauen lassen sollen und Getreide in Argentinien oder Russland kaufen sollen, wo es gute Anbaubedingungen gibt.
Aber auch andere Länder zogen sich aus dem Welthandel zurück. Damit gingen die genannten Vorteile der internationalen Arbeitsteilung verloren und der Wohlstand sank oder stagnierte. Aus dieser Erfahrung heraus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Freihandel gefördert, einerseits durch internationale Abkommen wie das Gatt, dem Vorläufer der Welthandelsorganisation WTO, und andererseits in Europa durch die europäische Einigung.
Bis in die 1980er-Jahre hinein ging es allerdings vornehmlich um Freihandel, das heißt um die Beseitigung von Zollschranken wie etwa in der EU.
Einen weiteren Schub hat die Globalisierung – den Begriff gibt es etwa seit Mitte der 1990er Jahre – saus zwei Richtungen bekommen: technologisch und wirtschaftstheoretisch, man mag auch ideologisch sagen, und damit wirtschaftspolitisch.
- technologischer Schub:
Fortschritte in der Mikroelektronik, Telekommunikation und der Informationstechnologie haben insbesondere den Fluss von Kapital deutlich vereinfacht und beschleunigt. Das fing mit dem Fax in den 1980er Jahren an und geht weiter bis zum Hochgeschwindigkeitsinternet und den dadurch möglichen Austausch großer Datenmengen quasi in Echtzeit.
Schließlich ist aber auch der Warentransport deutlich günstiger geworden, man denke nur an all das eingeflogene Obst und Gemüse. Das ist übrigens keine neue Entwicklung. Transportkosten sinken seit langer Zeit kontinuierlich, wahrscheinlich schon seit der Zeit der Hanse. Die Entwicklung hat sich aber offenbar in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt und damit den Handel vereinfacht.
- wirtschaftstheoretischer und –politischer Schub:
In den 1970er-Jahren gab es eine Wende im wirtschaftstheoretischen Denken weg von staatlicher Intervention (Keynesianismus) hin zu mehr Markt. Auslöser waren steigende Inflation und Arbeitslosigkeit (Stagflation) als Folge von steigender Staatsverschuldung und der beiden Ölpreisschocks von 1973 und 1979.
Man besann sich vor diesem Hintergrund wieder auf klassische ökonomische Positionen, von denen man mehr wirtschaftliche Prosperität erwartete. Märkte sollten liberalisiert werden, das heißt von staatlichen Eingriffen befreit werden. Das Merkmal liberaler Wirtschaftspolitik ist daher die Idee des jedermann zugänglichen Marktes, der eine freie und effiziente Koordination der Einzelinteressen auf allen Gebieten individueller Selbstverwirklichung ermöglichen soll. Mit anderen Worten, es geht um das Zurückdrängen staatlicher Eingriffe, die aus Sicht dieser Denkschule zu Bürokratisierung und Unfreiheit führen und damit Anreize für wirtschaftliche Aktivität behindern.
Folglich wurden im internationalen Rahmen die Güter- und Kapitalmärkte liberalisiert. Internationale Arbeitsteilung, so die Auffassung, schafft mehr Wohlstand, weil jeder sich auf das konzentriert, was er relativ gesehen am Besten kann.
Dieses neue Denken erhielt den Namen Neoliberalismus; ein Begriff, der inzwischen zum politischen Kampfbegriff wurde und unter dem so manches subsumiert wird, was nicht an diese Stelle gehört.
Die beiden aufgezeigten parallelen Entwicklungen – Technik und Wirtschaftstheorie – führten dazu, dass nicht mehr nur nationale Volkswirtschaften miteinander handelten, sondern zunehmend zu einer Welt-Volkswirtschaft verschmelzen. Dies bedeutet aber auch, dass nationale Politik zunehmend an Handlungsfähigkeit auf dem Feld der Wirtschaftspolitik verliert und dass ganze Staaten oder Regionen in einen Standortwettbewerb um Investitionen und Talente miteinander stehen.
- Wirkung der Globalisierung
Als wichtigster Indikator für die Globalisierung gilt das weltweite Handelsvolumen. Es wächst seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich an, abgesehen von Phasen einer Rezession oder der globalen Finanzkrise. Unterstellt man, dass durch die Spezialisierung die Ressourcen besser genutzt werden können, so ist das gestiegene Welthandelsvolumen Ausdruck eines gestiegenen Weltwohlstandes. Und Daten zeigen, dass im globalen Maßstab das Einkommen insgesamt aber auch pro Kopf anstieg. Und es gab erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut, auch wenn wir es teilweise anders wahrnehmen.
„Der Welt ging es noch nie so gut“, sagt Dieter Nuhr, der faktenbasierte Comedy gegen Weltuntergangsraunen macht.
Geht es um die Wirkung der Globalisierung, so muss man zwischen reichen und armen Staaten unterscheiden, wenn man auf Ebene der Staaten schaut. Staaten wie Deutschland oder Japan als exportorientierte Industrieländer haben stark vom wachsenden Welthandel profitiert. In anderen Ländern fällt die Bilanz gemischt aus, insbesondere weil die Industrie dort im globalen Maßstab nicht wettbewerbsfähig war.
Und die armen Länder? Hier gibt es auch zwei Gruppen: solche, die den Anschluss an mehr Wohlstand geschafft haben, und solche, die ihn bislang kaum oder gar nicht geschafft haben.
Globalisierung, so die Argumentation ihrer Kritiker, macht die Armen ärmer und die Reichen reicher. Das ist richtig und falsch gleichermaßen. Wie bereits erwähnt, findet Globalisierung vor allem zwischen den reichen Industriestaaten und China statt. In den armen Ländern, früher auch als Dritte Welt bezeichnet, sind diejenigen Länder zu mehr Wohlstand gekommen, die sich in den Weltmarkt integriert haben – und die sich in den Weltmarkt integrieren konnten. Das gilt insbesondere für China, wo vor einigen Jahrzehnten noch Menschen verhungert sind, und das in den kommenden Jahren die USA voraussichtlich als größte Wirtschaftsmacht überholen wird. Man spricht von Schwellenländern, die der Armut Dank Globalisierung entkommen sind und an der Schwelle zu den Industrieländern stehen oder dies bereits sind. Dies gilt vor allem für asiatische Staaten wie Südkorea, Thailand und Malaysia oder in Südamerika für Chile, an dessen erfolgreicher Wirtschaftspolitik allerdings das Blut der Pinochet-Diktatur klebt. Osteuropa befindet sich zwischen diesen Schwellenländern und den reichen westeuropäischen Ländern, wenn man als Indikator das durchschnittliche Einkommen pro Kopf nimmt. Polen, Tschechien und die Slowakei kommen gut voran, die Slowakei ist sogar in der Eurozone. Bulgarien und Rumänien sind noch immer sehr arm, und Ungarn ist ein Fall für sich unter der Orban-Regierung.
Reden wir über die Wirkungen der Globalisierung, so muss allerdings auch immer gefragt werden, zu welchen Kosten die Länder ihren wirtschaftlichen Erfolg erreicht haben: Gab es Umweltzerstörung, Kinderarbeit, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen? Für alles gibt es Belege, aber Bhagwati zitiert in seinem Buch auch zahlreiche Studien, wonach die Globalisierung etwa der Stärkung von Frauenrechten oder der Verringerung von Kinderarbeit diente.
Vorsichtig sollte man bei der Betrachtung des Einkommens allerdings mit dem Begriff der Ausbeutung sein. Wenn ein Bauer in Vietnam mit seinem Feld kaum seine Familie ernähren kann, er aber nun Turnschuhe näht und seinen Kindern den Schulbesuch ermöglichen kann, so geht es ihm deutlich besser. Maßstab für die Bewertung von Ausbeutung darf also nicht der Tariflohn in der deutschen Schuhindustrie sein oder dass der Fabrikbesitzer reich geworden ist oder Adidas sich mit den Lizenzeinnahmen die Taschen füllt. Wenn aber die Kinder des Bauern Turnschuhe nähen müssen, damit die Familie nicht verhungert, würde ich schon von Ausbeutung sprechen.
Es ist übrigens typisch für Entwicklungsprozesse, dass die Ungleichheit zunächst anwächst und später wieder nachlässt. Das zeigt sich auch in entwickelten Industriestaaten. Zum Beginn eines jeden Konjunkturaufschwungs steigt die Ungleichheit, weil zunächst Kapitalbesitzer von steigenden Gewinnen profitieren, bevor dann die Löhne ansteigen. Wir haben das in den Deutschland in den vergangenen Jahren auch erlebt.
Und was ist mit den ärmsten Ländern, sind sie die Opfer der Globalisierung und deshalb so arm? Meine Antwort ist in klares Nein. Sie können kein Opfer der Globalisierung sein, da sie überhaupt nicht in den Weltmarkt eingebunden sind. Insbesondere Afrika ist stark marginalisiert in der Weltwirtschaft. Gefragt sind von dort nur Rohstoffe, von deren Wert meist nicht viel im Land bleibt. Warum macht die internationale Arbeitsteilung nun einen Bogen um Afrika und Teile Lateinamerikas? Hindernisse sind meist eine unsichere politische Situation, Korruption, Kriege und teilweise kulturelle Hindernisse.
Schließlich ist in vielen Ländern die Rolle der Eliten zu hinterfragen, die oftmals gar kein Interesse an der Entwicklung ihres Landes zeigen. Vieles von dem aufgezeigten ist durch die Kolonialisierung durch europäische Mächte bedingt. Aber man kann sich mehr als 60 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht mehr auf diesem Argument ausruhen. Zudem verkaufen die korrupten Eliten in vielen afrikanischen Staaten gerade ihre Länder regelrecht an China, während sie antikolonialistische Propaganda dreschen wie in Zimbabwe. China re-kolonialisiert solche Länder, um Rohstoffe zu erhalten und Zugriff auf Agrarflächen zu bekommen. Außerdem stellt Peking keine Fragen in Sachen Menschenrechte und hat keine kritische Öffentlichkeit zu Hause, die sich mit dem Verhalten der Regierung beschäftigt. Also so wie wir hier gerade beispielsweise.
Teil 3 folgt, hier geht es zu Teil 1
Steht die Globalisierung angesichts von „America first“ und dem Brexit vor dem Ende? Mit dieser Fragestellung habe ich mich in einem Vortrag in der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Greifswald am 15. April 2019 beschäftigt. Ich habe darin hergeleitet, was unter Globalisierung im ökonomischen Sinne zu verstehen ist, welche Auslöser und Wirkungen zu beobachten sind. Mein Fazit: Die Globalisierung, so wie wir sie unter US-Führung kennen, endet. Aber die Globalisierung geht weiter, aber eben anders. Und ich habe auch erläutert, was der Verzicht auf diese neue Globalisierung implizieren könnte für Wohlstand, Freiheit und Frieden. Nachfolgend wird der Vortrag dokumentiert:
1. Einleitung/Begrüßung
Herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung.
Greifswald ist ein guter Ort, um über das Thema Globalisierung zu sprechen und zu diskutieren. Denn die Stadt trägt wie Bremen oder Lübeck mit Stolz den Titel einer Hansestadt. Die Hanse war in der frühen Neuzeit ein Städtebündnis, das den Handel förderte und ihren Mitgliedern zu Wohlstand verhalf. In Greifswald sieht man dies noch anhand der schönen Bürgerhäuser und mächtigen Backsteinkirchen.
Ich will aber nicht über die Hanse sprechen, und auch nicht über die Geschichte von Greifswald. Aber, die Hanse war angesichts der beschränkten Kommunikations- und Transportmittel ihrer Zeit wirtschaftlich unglaublich erfolgreich – und in gewisser Weise ein Vorläufer dessen, was wir heute Globalisierung nennen.
(Kurz ein Wort zu meiner Person: Ich habe Volkswirtschaft studiert an der Universität Göttingen und arbeite als Finanzjournalist bei der Börsen-Zeitung in Frankfurt, jedenfalls noch. Während meines Studiums, in dem ich einen Schwerpunkt auf internationale Wirtschaftsbeziehungen gelegt habe, wurde Globalisierung zum Modewort. Warum das so war, darauf komme ich später zurück. Jedenfalls hat mich das Thema nicht mehr losgelassen – und ich freue mich heute Abend darüber sprechen zu dürfen.)
Zunächst möchte ich erklären, was im ökonomischen Sinn als Globalisierung zu verstehen ist. Darauf soll eine Einschätzung der Wirkung der Globalisierung folgen, bevor ich mich kritisch mit der Globalisierung und den Globalisierungskritikern auseinander setze. Außerdem möchte ich auf das Thema Finanzmärkte eingehen, mit dem ich beruflich viel zu tun habe.
Darauf folgend möchte ich auf die Kernfrage des heutigen Abends eingehen: Erleben wir durch den Brexit oder Donald Trump ein Ende der Globalisierung. Daraus folgt die Frage, was danach kommen könnte – und ob wir das wirklich wollen? Zum Ausblick möchte ich dann ein paar Gedanken skizzieren, wie die Globalisierung gerechter gestaltet werden könnte.
2. Ein Selbsttest: Wie globalisiert sind wir eigentlich?
Eingangs hatte ich schon angedeutet, dass ich insbesondere über die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung sprechen möchte. Es gibt aber auch eine politische, kulturelle und soziologische Ebene. Denn Globalisierung ist keine Theorie, sondern ist jederzeit Teil unseres Alltags.
Machen wir also alle kurz den Selbsttest: Wie globalisiert bin ich eigentlich? Dazu ein paar Fragen. Bitte die Hand heben:
- Wer nutzt Produkte von Apple, Samsung oder Huawei?
- Wer chattet mit Freundinnen und Freunden mittels Skype oder Whatsapp über die deutschen Grenzen hinweg?
- Wer mag Mangas?
- Wer isst das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse?
- Wer hat im Ausland studiert oder ein Praktikum gemacht?
- Wer verfolgt das Geschehen um US-Präsident Trump?
- Wer legt privat was für das Alter zur Seite?
- Wer schaut gern US-Serien auf Neflix?
- Wer hat sich kürzlich erst wieder über die Sonderangebote an Haushaltswaren oder Werkzeug bei Aldi gefreut?
3. Der Begriff Globalisierung
Eben habe ich es schon angedeutet, dass es verschiedene Ebenen der Globalisierung gibt: wirtschaftlich, politisch, kulturell und soziologisch. Ich möchte mich hier auf zunächst auf die wirtschaftlichen Aspekte konzentrieren und Globalisierung als ökonomisches Phänomen beschreiben und auf seine Bestimmungsgründe eingehen. Auf politisch/soziologische Faktoren komme ich später zurück.
Zu bedenken ist auch, dass Globalisierung in der öffentlichen Debatte ein Kampfbegriff wie Kapitalismus oder Neoliberalismus ist – und in diesem Kontext viel, um es zurückhaltend zu sagen, an Unschärfe bekommt.
Was heißt nun wirtschaftliche Globalisierung. Ich orientiere mich an der Definition des Ökonomen Jagdish Bhagwati, der an der Columbia University in NYC lehrt und das Buch „In Defense of Globalization“ geschrieben hat. Er beschreibt Globalisierung als die „Integration nationaler Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft durch Handel, Direktinvestitionen, kurzfristige Kapitalflüsse sowie den internationalen Fluss von Arbeitskräften und Technologie sowie von humanitärer Hilfe“.
Vielleicht zur Frage was der Unterschied zwischen Direktinvestitionen und kurzfristigen Kapitalflüssen ist. Eine Direktinvestition ist es, wenn Siemens eine Fabrik in Brasilien baut, also langfristig unternehmerisch aktiv wird. Kurzfristige Kapitalflüsse sind Anlagen in Wertpapieren anderer Länder, also Aktien oder Anleihen. Meine Pensionskasse kauft also vielleicht eine Anleihe, mit der sich ein Unternehmen in Brasilien Geld leiht um eine Fabrik zu bauen – und um mir eine Rendite zahlen zu können. Wird die Lage in Brasilien als zu riskant eingestuft, verkauft meine Pensionskasse die Anleihe wieder. Wenn viele das machen, wird es ein Problem für das Land. Ich komme auch auf diese Thematik später zurück.
Schließlich ist Globalisierung kein neues Phänomen, ich sprach schon davon im Kontext der Hanse, aber denken wir beispielsweise an den weltweiten Handel der Spanier, Briten oder Niederländer im 17. und 18. Jahrhundert.
Auf jeden Fall meint Globalisierung zunehmende Integration zwischen nationalen Volkswirtschaften. Dies zeigt sich insbesondere am wachsenden Handel zwischen Staaten, der auch sonst zu einem wachsenden Austausch beiträgt – nicht umsonst wird die Europäische Union, die als Freihandelszone gestartet ist, auch als Friedensprojekt bezeichnet.
Neben dem Handel ist ein Bestandteil der Globalisierung, dass Unternehmen zunehmend grenzüberschreitend tätig sind, sie nutzen Wettbewerbsvorteile an verschiedenen Standorten aus. Sie investieren dort, wo ihr Kapital die höchste Rendite abwirft.
Im Kern geht es – wirtschaftstheoretisch gesprochen – um die internationale Arbeitsteilung. Jeder macht, was er im Verhältnis am Besten kann. So kann unter Einsatz der vorhandenen Ressourcen am meisten produziert werden, so dass der Wohlstand insgesamt steigt. Die Verteilung des entstandenen höheren Wohlstandes steht auf einem anderen Blatt Papier, da gibt es erheblich Differenzen.
Insofern ist die Globalisierung in doppelter Hinsicht nicht neu: Kapital strebt immer zum Ort der höchsten Rendite, und der Handel hat sich schon seit Jahrhunderten ausgeweitet. Ich nannte die Hanse, aber es gab zu dieser Zeit auch schon Fernhandel bis China, und in dieser Zeit waren die Araber eine führende Handelsmacht.
Aber auch die Zeit um das Jahr 1900 war sehr globalisiert, durch den Ersten Weltkrieg brach dieses System zusammen, die Folgen kennen wir. Das, was wir heute als Globalisierung bezeichnen, setzte aus den Erfahrungen der 1930er-Jahre nach 1945 ein und erhielt ab 1989 einen weiteren Schub. Spätestens seit der globalen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 und der daraus folgenden Euro-Staatsschuldenkrise verschärfte sich die Kritik an der Globalisierung.
Zugleich besitzt der Freihandel für Deutschland eine überragende Bedeutung. Knapp die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung resultiert aus internationaler Verflechtung, insbesondere in Europa. Wichtigster Handelspartner ist Frankreich, bedeutsam sind außerdem die Niederlande und zunehmend Polen. Außerhalb Europas handelt Deutschland, wenig überraschend, vor allem mit den beiden größten Wirtschaftsmächten USA und China sowie der Nummer drei Japan. Deutschland steht in dieser Reihenfolge auf Platt 4, wobei die Europäische Union mit ihrem Binnenmarkt der größte Wirtschaftsblock der Welt und größer als China und die USA ist.
(Teil 2 folgt)
Stefan Schaaf, April 2019
Zwischendurch gibt es sogar Lob für Prof. Sinn, den „Entdecker“ der Target-Salden. Ansonsten verteidigt Markus Brunnermeier während seines Vortrags beim ifo-Institut in München das Konzept der European Safe Bonds (ESBies), die bei Ratingagentur S&P auf wenig Zustimmung stoßen. Dazu erschien hier auf dem Blog ein Beitrag.
Wer den dicken Euro-Wälzer von Brunnermeier et. al. nicht lesen möchte (er ist wirklich lesenswert), der kann sich in gut 45 Minuten von Brunnermeier auf Youtube die wesentlichen Gedanken insbesondere im Hinblick auf die divergierenden ökonomischen Schulen in Deutschland und Frankreich anschauen.
Hier geht es zum Youtube-Video „Euro – Der Kampf der Wirtschaftskulturen“. Von dort lässt es sich auch weiterklicken zur Diskussion. (Unbedingt den Gesichtsausdruck von ifo-Boss Fuest beobachten, während sein Vorgänger Sinn vom „bankrotten französischen Hinterland“ am Mittelmeer spricht.)
Und wer es noch kürzer möchte, der möge nach unten scrollen. Dort findet sich meine Kurzzusammenfassung des Buches – und warum Keynesianer und Ordoliberale einander brauchen. (Oder einfach klicken)
Inzwischen steht mit einem Jahr Verspätung wohl auch der Bericht einer Taskforce zum Thema im Rahmen des ESRB kurz vor der Veröffentlichung. Demnach werden nicht zwei, wie Brunnermeier vorgeschlagen hat, sondern drei Tranchen von ESBies aufgelegt. Details hat Bloomberg.
Stefan Schaaf, Januar 2018
Befürworter verbriefter europäischer Staatsanleihen können wohl nicht auf Rückenwind der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hoffen. Dass er von so genannten European Safe Bonds (ESBies) nicht viel hält, machte deren Europa-Chef für Länderratings, Moritz Krämer, kürzlich auf einer Konferenz in Berlin klar.
Ich will nun nicht in die ESBies-Diskussion einsteigen an dieser Stelle, sondern nur kurz die für die Idee nicht unwichtige Sicht von S&P umreißen. Es geht um Pakete von Staatsanleihen der Eurozone, die je nach Kapitalanteil der Mitgliedsstaaten an der EZB gebündelt werden. Auf diese strukturierten Portfolien sollen verbriefte Anleihen begeben werden. Die Hoffnung ist, einen liquiden Markt mit hoher Bonität zu schaffen und zugleich die enge Verbindung zwischen Staaten und Banken aufzubrechen. Eine sehr gute Beschreibung von ESBies hat Gerald Braunberger für den Fazit-Blog verfasst. [Zum Blog-Beitrag]
Krämer hat bei der TSI-Konferenz in Berlin jedoch hinter Hoffnungen auf ein hohes Rating ein Fragezeichen gesetzt. Grund dafür: fehlende Kleinteiligkeit eines ESBies-Portfolios, in dem rund ein Viertel italienische Staatsanleihen mit eher schwacher Bonität zusammen kämen. „Es gibt keine nenneswerte Diversifikation und eine hohe Korrelation der im Portfolio enthaltenen Papiere“, sagte er. Wenn etwas in der Eurozone passiere, dann schlage dies auf das gesamte Portfolio durch – „nicht ideal“, meint Krämer. Er bezeichnete ESBies als „Eurobonds ohne Transfer von Nord- nach Südeuropa“. Die Protagonisten, darunter Ökonom Markus Brunnermeier (vorhergehender Beitrag), versuchten die Quadratur des Kreises, „und das ist selten gelungen“.
Deutsch-französische Projektbonds
An diesem Wochenende hat nun der CDU-Politiker Norbert Röttgen in einem Reuters-Interview deutsch-französische Projektbonds vorgeschlagen. Man darf gespannt sein, wie dies in Politik, Märkten und bei den Ratingagenturen aufgenommen wird. [Zur Reuters-Meldung]
Stefan Schaaf, Oktober 2017
Deutschland und Frankreich haben die Chance Europa voranzubringen und den Euro – endlich – stabil zu machen. Der Wille scheint nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich in beiden Regierungen groß zu sein. Dazu ist aber ein besseres Verständnis des ökonomischen Denkens der jeweils anderen Seite nötig.
Einen Versuch, deutsche Ordoliberale und französische Keynesianer ins Gespräch zu bringen, unternehmen Markus K. Brunnermeier, Harold James und Jean-Piere Landau mit „The Euro and the Battles of Ideas“. Neben einer ausführlichen Erläuterung der Genese und Bekämpfung der europäischen Staatsschuldenkrise, verbunden mit theoretischen Blöcken über Leistungsbilanzen, optimale Währungsräume etc., ist ihr Buch vor allem eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen ökonomischen Traditionen auf beiden Seiten des Rheins.
Die Autoren sind dabei wohltuend schonungslos – etwa im Hinblick auf die Konstruktionsfehler des Euro – wie auch wohltuend konstruktiv im Hinblick auf dessen Stabilisierung und Weiterentwicklung. Sie heben sich damit angenehm von jenem Weltuntergangs-Ramschtisch-Populismus ab, der in Deutschland oft in die Buchläden kommt.
Zu Jahresbeginn begannen viele an der Zukunft Europas und seiner Gemeinschaftswährung zu verzweifeln, der Autor dieses Blogs eingeschlossen. Mit der Wahl von Emmanuelle Macron zum französischen Präsidenten ist jedoch alles anders, Hoffnung kehrt nach Europa zurück, begleitet von einem vor zwei, drei Jahren noch unvorstellbaren Konjunkturaufschwung von Finnland bis Portugal. (Ok, Griechenland ausgenommen. Die Komplexität des Themas erfordert aber einen eigenen Beitrag.)
Das Buch ist der perfekte Begleiter für die Renaissance Europas. Wollen der visionäre Macron und die machterprobte Angela Merkel tatsächlich einen großen Schritt machen, so sollten sie „The Euro and the Battle of Ideas“ unbedingt lesen, damit sie nicht aneinander vorbei reden. Denn wie die Autoren feststellen, werden in Europa oft Dokumente unterschrieben, die vage sind und in die jede Seite ihre Sicht der Welt hineininterpretiert. Sie arbeiten dies insbesondere an den divergierenden ökonomischen Traditionen beider Länder heraus, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben. Hier die deutsche regelbasierte Ökonomie, die im Ordoliberalismus bzw. der Ordungspolitik ihren Ausdruck findet. Dort die stark keynesianisch-interventionistische Politik Frankreichs, die zu fiskalischem Aktionismus neigt, wo Deutschland auf die Einhaltung der Regeln pocht, um Nachahmer abzuschrecken und einen Moral Hazard zu verhindern.
Anstatt die eine von der anderen Seite überzeugen zu wollen, arbeiten die Autoren die Ursachen für diese Divergenzen heraus und finden Sie in Zentralismus versus Förderalismus. Deutschland brauchte wegen seiner stark förderalen Struktur (der einzige Versuch von Zentralismus endete im Desaster) immer strenge Regeln, während das zentralistische Frankreich sich ein geringeres Maß an Regelgebundenheit „leisten“ konnte. So letztlich die Kernthese. Ökonomische Denkschulen sind dann nur die Ableitung aus historischen Erfahrungen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass vage Kompromisse nicht helfen werden Europa voranzubringen, weil jede Seite darin nur wieder ihre Sicht der Welt darin sehen wird. Notwendig wird Bewegung auf beiden Rheinseiten sein und die Bereitschaft, aus der Tradition des anderen zu lernen und Teile davon zu übernehmen. Und hier liegt der wichtige konstruktive Part des Buches. Brunnermeier et. al. zeigen nämlich auf, dass beide Denkschulen durch Elemente der anderen bereichert werden können und dies zu besseren Ergebnissen in der Gestaltung von Fiskal- und Geldpolitik führt. Regeln brauchen in Krisensituationen interventionistische Elemente – und Interventionismus braucht Regeln, um nicht aus dem Ruder zu laufen.
Oder wie die Autoren in ihrem Schlussatz schreiben: „In Short, we have characterised as the German view and the French view actually need each other to be sustainable.”
„The Euro and the Battle of Ideas“ ist für politisch-ökonomisch Interessierte eine perfekte Lektüre für den Urlaub irgendwo in Europa. Und keine Sorge: Die drei Autoren (ein Deutscher, ein Franzose, ein Brite) schreiben ein gut leserliches internationales Englisch, dass deutlich einfacher zu lesen ist als etwa das sehr sophisticated daherkommende britische Englisch in Martin Wolfs ebenfalls lesenswerten Finanzkrisenbuch „The Shifts and the Shocks“.
Und falls jemand fragen möchte. Nein, meine Ausgabe ist im Moment nicht zu haben. Sie ist verliehen und reist in Kürze nach Italien. Der Preis von 27,99 Euro (bei Amazon) ist für das rund 400 Seiten starke Werk angemessen.
Stefan Schaaf, Juli 2017
Will die EZB ihr Anleihekaufprogramm verlängern oder gar ausweiten, so wird sie um eine Änderung der Regeln nicht umhin kommen. Zwar gibt es genügend Euro-Anleihen zum Kauf, aber eben nicht genug von allen.
Für 80 Mrd Euro kauft die Europäische Zentralbank (EZB) jeden Monat Anleihen am Markt auf und drückt damit die Realzinsen. Es soll hier nicht um die Sinnhaftigkeit der Käufe gehen, es gibt Gründe dafür und Gründe dagegen. Klar ist allerdings, egal ob die Notenbank das Programm verlängert, ausweitet, beides tut oder im Zuge eines Tapering in geringerem Umfang auslaufen lässt, sie wird über eine andere Zusammensetzung der Käufe und eine Änderung der Regeln nicht umhinkommen.
Dabei ist grundsätzlich genügend Material für weiterhin umfangreiche Käufe dar. Das zeigen Daten aus einer Präsentation von J.P. Morgan Asset Management.
Demnach kann die Notenbank aus einem Pool von 7700 Mrd. Euro an Bonds auswählen. Die Summe ergibt sich aus verfügbaren Corporates und Euro-Staatsanleihen, also der rechten Säule der linken Grafik und der linken Säule der rechten Grafik. Bei monatlichen Käufen von 80 Mrd. Euro ist demnach theoretisch Material für gut 96 Monate vorhanden. Die Marktliquidität und der Anlagenotstand vieler Investoren wird allerdings dafür sorgen, dass nicht alles kaufbar ist.
Die größte Hürde liegt aber im Länderschlüssel. Bislang kauft die EZB nach dem Kapitalschlüssel ihrer Mitglieder nationale Bonds. Gut ein Viertel der Käufe entfällt somit auf Deutschland. Und hier liegt der Engpass, denn die zur Verfügung stehende Menge an Bundesanleihen schrumpft kräftig. Wegen der Operation „schwarze Null“ baut der deutsche Staat derzeit netto Schulden ab, womit auch das Volumen ausstehender Bundesanleihen schrumpft. Medienberichten zufolge stoßen inzwischen auch die Käufe von Covered Bonds ebenfalls an ihre Grenzen.
Will die EZB ihr Programm also in irgendeiner Form über das bislang beschlossene hinaus ausweiten, und sei es nur im Zuge eines Tapering langsam über März 2017 hinaus abschmelzen, so wird sie ihre Regeln ändern müssen. Es gibt zwar genug Masse, aber eben nicht genug von allem.
Man darf gespannt sein, welche Fantasie die EZB entwickeln wird um die Regeln mandatsgerecht zu flexibilisieren.
Stefan Schaaf, November 2016
Schnäppchenjäger im Internet könnten die (nominalen) Mini-Zinsen mitverursachen. Trifft eine entsprechende Studie zu, dann müssten die Notenbanken ihre Inflationsziele überdenken und könnten die Geldpolitik schon jetzt straffen.
„Enteignung“ schallt es den Notenbanken entgegen, weil sie Zinsen erst auf null gesenkt und dann auch noch mittels Anleihekäufen die langfristigen Zinsen drücken. Zwar ist die Welt real betrachtet gar nicht so viel anders als früher, als es bei einer Inflationsrate von 2% auf das Sparbuch 2,5 bis 3% Zinsen gab. Dennoch bleibt das Gefühl des Wertverlustes des Ersparten. Grund dafür sind neben den Nachwirkungen der Finanzkrise in Form einer ultralocker-unkonventionellen Geldpolitik der Spareifer der Menschen. Das Angebot an Geld ist einfach zu groß in einer alternden und deshalb tendenziell wachstumsarmen Volkswirtschaft wie der deutschen.
Die lockere Geldpolitik ist wiederum eine Reaktion auf extrem niedrige Inflationsraten. Bei 2% sehen viele Notenbanken Geldwertstabilität gegeben, weshalb sie aus allen Rohren feuern und hoffen die Inflation hochtreiben zu können.
Möglicherweise sind die 2% aber viel zu hoch gesetzt. Sie stammen aus der alten analogen Welt mit begrenzter Preistransparenz. Doch in der digitalen Welt ist es anders, es herrscht fast wie im ökonomischen Lehrbuch vollkommene Konkurrenz. Darauf weist eine Untersuchung der Fondsgesellschaft M&G Investment hin: weil nämlich immer mehr Verbraucher im Internet shoppen und Preise vergleichen, wird der Markt transparenter. Der „stärkere Druck“ auf den Handel sei im Hinblick auf Inflationsraten „ein nicht zu vernachlässigendes gegensteuerndes Element“, heißt es. E-Commerce übe in bestimmten Branchen eine deflationäre Wirkung aus.
(Hier geht es zur M&G-Inflationsstudie.)
Da haben wir es: Die Verbraucher drücken im Internet die Inflationsrate. Und weil die Notenbanken mit ihren Inflationszielen noch nicht in dieser neuen Welt angekommen sind, drücken Sie Zinsen stärker als sie müssten. Pointe der Geschichte: Was die Verbraucher beim Internet-Einkauf sparen, geht ihnen bei der Geldanlage wieder flöten.
Und natürlich bin ich gespannt, ok es eine akademische Diskussion über Inflationsziele geben wird.
(Stefan Schaaf, Oktober 2015)
Die jüngste Phase hoher Volatilität wurde vor allem am Aktienmarkt registriert. Wenig wahrgenommen, aber nicht weniger gefährlich für Anleger sind die Zeichen, die der US-Anleihemarkt aussendet.Zuletzt hat sich hier deutlicher Zinswende-Stress aufgebaut, auch wenn die jüngsten Arbeitsmarktdaten keine schnelle Zinswende erwarten lassen. Dennoch steigen dort die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen (Corporates) aktuell deutlich an. Den Hinweis dafür entnahm ich einer Präsentation der DekaBank.
Demnach sind im Bereich von Corporates mit einet „BBB“-Bewertung, einem breiten und relativ liquiden Markt, die Spreads zuletzt deutlich angestiegen und waren so hoch wie zuletzt vor drei Jahren, also kurz nach Draghis „What ever it takes“-Rede. Mit anderen Worten, die Lage ist zwar nicht dramatisch, aber entscheidend ist die Tendenz. Sie deutet auf wachsendes Misstrauen der Investoren hin, wenn der Risikoaufschlag zum „sicheren“ Zins – in den USA in der Regel Treasuries – ansteigt.
Eine Zinswende würde den US-Corporate-Markt treffen. Denn viele US-Konzerne haben die niedrigen Zinsen genutzt zur billigen Schuldenabnahme und mit dem Geld eigene Aktien zurückgekauft. Steigen die Marktzinsen, so wird die Refinanzierung dieser Bonds teurer, die Bonität der Firmen sinkt. Diese Erwartung zeigt sich aktuell am Spreadanstieg.Der Markt sendet Signale für Zinserhöhungsstress aus.
Eine US-Zinsende, auch wenn sie unwahrscheinlicher geworden ist, wird auch die Aktionäre betreffen. Wenn US-Firmen höhere Zinsen bezahlen müssen, bleibt weniger Geld für die Aktionäre übrig.
(Stefan Schaaf, Oktober 2015)